Quelle: Sächsische Zeitung vom 16.04.2021, von Peter Anderson

Autor Uwe Karte und Politiker Frank Richter haben für ein Buch über Dynamo-Erfolgstrainer Walter Fritzsch kooperiert. Der trainierte auch die BSG Stahl Riesa.

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Über 55 Jahre führte Dynamo-Trainer Walter Fritzsch Tagebuch. Der Dresdner Uwe Karte hat daraus ein fast 500 Seiten starkes Werk zusammengestellt. Frank Richter liefert eine gesellschaftspolitische Einordnung. © Claudia Hübschmann

Herr Karte, wann und wie sind Sie auf das Tagebuch von Walter Fritzsch gestoßen?

Das ist eine lange Geschichte, hier die Kurzfassung: Bei der Recherche zu meinem Dokumentar-Film "Der kleine General" erfuhr ich von den privaten Tagebüchern, ohne Genaueres über Umfang beziehungsweise Inhalt zu wissen. Ich bat um Einsicht, und bekam den ganzen Koffer. Das war im Herbst 2005 und ich war echt geplättet. Oder besser gesagt überfordert. Das Sichten dauerte Wochen und Monate. Vieles konnte ich nur mit viel Mühe oder gar nicht lesen. Bis 1949 hat Walter Fritzsch fast alles in Sütterlin-Schrift festgehalten, die Notizen in den Kriegstagebüchern aus seiner Zeit bei der 18. Panzerdivision sind vorwiegend mit Bleistift geschrieben. In der Zwischenzeit hatte mir der Nachlassverwalter die Tagebücher vermacht, mit dem Auftrag: Halt sie zusammen und machen Sie was draus! So schlich ich dann viele Jahre um die Tagebücher herum. Bis sich 2019 die Frage stellte: Ganz oder gar nicht?

Herr Richter, wie halten Sie es mit dem Tagebuchführen?

Als Jugendlicher, während der Armeezeit und im Studium habe ich regelmäßig Tagebuch geführt. Die Aufzeichnungen waren Selbstgespräche und nur für mich bestimmt. Jetzt telefoniere ich jeden Abend mit meiner Frau, weil wir arbeitsbedingt eine Wochenend-Ehe führen müssen. Meine Frau ist mein Tagebuch.

Herr Karte, Sie kannten Walter Fritzsch noch persönlich. Wie hat die Lektüre Ihr Bild von ihm verändert?

Ich glaube, durch das Studium der Tagebücher habe ich ihn erst richtig kennengelernt und war oft sprachlos. Was er – vornehmlich im Krieg oder auch in der Nachkriegszeit – durchleben musste, blieb meiner Generation zum Glück erspart: 23 Nahkampftage an vorderster Ostfront und das Sterben links und rechts von ihm war Normalität. Dazu Hunger, Kälte und kein Ende von diesem Wahnsinn in Sicht. Schon deshalb habe ich spätere Entscheidungen von ihm plötzlich viel besser verstanden. Der Ärger seiner Spieler über das gnadenlose Training auf dem Hartplatz etwa, hat ihn doch nicht wirklich interessiert. Erstaunt hat mich zudem der Umstand, wann und wo Walter Fritzsch überall Zeitzeuge beziehungsweise Augenzeuge war, das ist unglaublich spannend!

Herr Richter, was war für Sie die größte Überraschung beim Lesen der Tagebücher?

Dass es Walter Fritzsch fertiggebracht hat, Tagebuch über mehr als 55 Jahre zu führen. Für eine solche Leistung braucht es eine besondere Motivation, über die ich nur spekulieren kann.

Herr Karte, wie haben Sie den vielen und reichhaltigen Stoff in Ihrem Buch verarbeitet?

Ich denke, es ist eine gute Mischung. Das Tagebuch ist mal komplett, mal nur in Auszügen zitiert. Dazu gibt es erklärenden Stoff und wichtige Bemerkungen, sowie eine reiche Illustrierung mit mehr als 400 tollen Fotos und Abbildungen. Und zwischen den Lebensabschnitten gibt es noch etwas ganz Besonderes. Gespräche mit prominenten Kommentatoren, die Dinge bewerten und einordnen.

Herr Richter, Fußballer wie Walter Fritzsch bezeichnen sich oft als unpolitisch. Was ist von solch einer Behauptung vor dem Hintergrund der Biografie des Dynamo-Erfolgstrainers zu halten?

Walter Fritzsch wollte mit Politik am liebsten nichts zu tun haben. Das konnte nicht gelingen, weil Fußball keine Privatsache ist. Fußball spielt man nicht im stillen Kämmerlein, sondern in aller Öffentlichkeit. Fußball braucht politische Rahmenbedingungen – auch öffentliches Geld – und Fußballer müssen, ob sie wollen oder nicht, damit umgehen, dass Politiker die große Bühne Fußball für sich nutzen. Auch Walter Fritzsch musste das begreifen.

Herr Karte, die Tagebücher dokumentieren auch die Arbeitsmethoden von Walter Fritzsch als Trainer. Wie modern war er auf diesem Gebiet?

Auf vielen Gebieten war er Visionär! Was mir einfällt: Spielbeobachtung mit einer Kamera bereits ab 1961. Die gründliche Erfassung und Auswertung von allen möglichen Daten, alles mit der Hand geschrieben und gezeichnet – mit endlosen Listen, Tabellen, Diagrammen – einfache irre! Dazu hatte er eine ganz spezielle Art Steno-Schrift für das Kurz-Protokoll von Fußballspielen. Für all das gibt es heute nicht nur einen hauptamtlich Beschäftigten im Trainerstab, dazu Computerprogramme und jede Menge Software. Walter Fritzsch hat das ganz allein erledigt – er war echt ein Fußball-Wahnsinniger!

Herr Richter, was lässt sich Ihrer Ansicht nach für den Leser aus dem Buch erfahren und vielleicht auch lernen?

Das Buch ist eine wahre Fundgrube für Fans, für Geschichtsinteressierte, für die Dresdner und eigentlich für alle Sachsen. Walter Fritzsch stammt aus Planitz bei Zwickau, er hat viele sächsische Mannschaften trainiert. Mit Dynamo feierte er seine größten Erfolge. Großenhain und Meißen spielen eine Rolle, weil er sich während des Krieges zeitweise hier aufgehalten hat. Walter Fritzsch ist ein Zeuge des 20. Jahrhunderts. Wer das Buch intensiv liest, lernt, was viele heute vergessen haben: Bescheidenheit und Fleiß. Etwas Wasser allerdings muss in den Wein gegossen werden: Würde Walter Fritzsch noch leben, müsste man ihm auch ein paar peinliche Fragen stellen, die seine Soldatenzeit betreffen.

Das Buch "Tagebuch für Walter Fritzsch" erschien am 15. April und kostet 48 Euro. Bestellung unter: www.uwekarte.de/fritzsch

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